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reden über ihre Erfahrungen und ihr Leben in der DDR

Jazzsängerin Uschi Brüning

"Die Menschen im Westen interessieren sich nicht für uns" In der DDR galt Uschi Brüning als die "Ella Fitzgerald des Ostens" - dann fiel die Mauer. Im Interview erzählt sie von ihrer Furcht vor dem Westen, Kokspartys in der Sowjetunion - und sie macht Wolf Biermann ein spätes Geständnis.

Ein Interview von Janko Tietz

02. März 2019

Sie wurde in die Nachkriegswirren der noch nicht gegründeten DDR hineingeboren, 1947 war Leipzig genauso kaputt wie die meisten anderen Städte in Deutschland. Ihre Mutter schlug sich als "Kaffee- und Kaltmamsell" durch, als einfache Servierkraft in der Gaststätte des Zoos. Ihr Wohnhaus nannten sie "Villa Bröckelputz", der Vater machte sich aus dem Staub, als sie ein Jahr alt war. Die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern war bald überfordert, gab Uschi Brüning, die jüngere der beiden Schwestern, schweren Herzens in ein Kinderheim.

Den Jazz entdeckte Brüning erst sehr spät für sich. Zunächst begann sie, Schlager und Chansons zu covern.
Foto: privat/ Ullstein Verlag

Gegen das Heimweh und den Verlust half dem Mädchen das Singen. Ihre Begabung mündete in einer beispiellosen Karriere in der DDR. Der Schriftsteller Ulrich Plenzdorf setzte ihr ein Denkmal in "Die neuen Leiden des jungen W.", der Sänger Wolf Biermann widmete ihr ein Gedicht. Nach einigen Tiefschlägen in der Nachwendezeit konnte Brüning im geeinten Deutschland an frühere Erfolge anknüpfen.

Gerade ist die Autobiografie "So wie ich" der Jazzsängerin erschienen. Darin blickt sie auf eine mehr als 50-jährige Karriere zurück, in der auch viele andere Stars eine große Rolle spielten.

SPIEGEL ONLINE: Frau Brüning, Sie dürften vor allem Menschen bekannt sein, die früher in der DDR gelebt haben. Für viele sind Sie jemand, die einen schon das halbe Leben begleitet hat. Wie erklären Sie allen anderen, wer Sie sind?

Brüning: Oh, eine Selbstbeschreibung ist immer schwer. Ich bin eine Sängerin, die zunächst mit Querbeet-Musik daherkam, die anfangs in der DDR alles sang, was man als Mädchen und als junge Frau so sang. Schlager, Chansons, Pop. Über die vielen Jahrzehnte habe ich mich immer mehr dem Jazz genähert. Inzwischen bin ich 72, bin eine gestandene Künstlerin und liebe meinen Beruf immer mehr.

SPIEGEL ONLINE: Die Mauer fiel vor 30 Jahren. Sehen Sie sich jetzt als gesamtdeutsche Sängerin?

Brüning: Nein, überhaupt nicht. Das liegt vielleicht an meiner Mentalität, vielleicht an meinem Alter. 30 Jahre sind zu wenig. Es entwickelt sich nach meiner Beobachtung ja alles eher wieder auseinander statt zusammen. Ich bin eine ostdeutsche Sängerin. Wenn ich den Markt im Westen erobern kann - nichts dagegen. Aber danach sieht es nicht aus.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?

Brüning: Die Menschen im Westen interessieren sich nicht für uns, im Gegensatz zu uns Ostdeutschen. Das Interesse war nie gleich verteilt, und das ist immer noch so. Das soll jetzt nicht resignierend klingen. Aber das ist meine Wahrnehmung.

SPIEGEL ONLINE: Treten Sie denn nicht im Westen auf, um einem Publikum Ihre Musik nahezubringen?

Brüning: Zu DDR-Zeiten war ich viel öfter im Westen als jetzt. Ich weiß auch nicht, warum. Aber mein Mann, der Saxofonist Ernst-Ludwig Petrowsky, und ich wurden sehr oft von Jazzclubs im Westen gebucht. Da waren wir gefragt als die Exoten aus dem Osten, da kamen wir an, da wurden wir gefeiert. Nach der Wende haben die ganz schnell das Interesse an uns verloren, da waren wir Konkurrenz. Ich bin in manchen westdeutschen Städten mit Manfred Krug aufgetreten. Und selbst mit ihm stellte ich fest: So bombig kommen wir da auch nicht an. Vielleicht liegt es auch an der Musik, die immer noch anders klingt.

SPIEGEL ONLINE: Sie durften zu DDR-Zeiten in den Westen reisen?

Brüning: Ja, anfangs waren das die Ausnahmen, später häufiger. Der Staat hat schnell gemerkt, dass er mit uns Künstlern im Westen gutes Geld verdienen kann. Wir mussten das Geld ja abgeben. Zudem merkten die Regierenden bald, dass sie um Jazz nicht herumkommen. Das Publikum strömte, irgendwann wurde im Komitee für Unterhaltungskunst auch eine Sektion Jazz eingeführt - mit dem Ziel: Dann haben wir sie alle, dann gibt es keine Subkultur und keine Nischen mehr, die wir nicht kontrollieren können.

Brüning, 1981: "Ich hatte die Hoffnung, entdeckt und berühmt zu werden"

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in der DDR zunächst Gerichtssekretärin gelernt. Auch, weil Sie dachten, als Jazzsängerin würden Sie im SED-Staat einen schweren Stand haben?

Brüning: Nein, ich habe schlicht nicht gewusst, dass man auch Berufssängerin werden kann. Nach meiner Ausbildung an der Musikfachschule in Berlin-Friedrichshain bekam ich dann einen richtigen Berufsausweis. Natürlich hatte ich die Hoffnung, entdeckt und berühmt zu werden. Das alte blöde Kindermärchen eben. So, wie Caruso als Straßenmusiker entdeckt wurde.

SPIEGEL ONLINE: Gefördert hat sie schließlich Klaus Lenz, einer der besten Kompositeure, Arrangeure und Bandleader im Osten. Er ließ sie in seinem Haus "Yesterday" von den Beatles vorsingen und war begeistert. Mit ihm und seiner Band gingen Sie dann auf Tourneen.

Brüning: Wir haben vor allem westliche Lieder gecovert. Zum Teil haben wir vorm Radio gesessen und die Texte mit Bleistift in Lautschrift mitgeschrieben. Von Aretha Franklin, Dinah Washington, Sarah Vaughan. In der einen Sendung, die erste Strophe, in einer nächsten die zweite, bis wir über Wochen das ganze Lied zusammen hatten. Anders ist man ja in der DDR nicht an die Texte gekommen. Da musste man gute Ohren haben und schnell schreiben können.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrer Biografie "So wie ich" beschreiben Sie den permanenten Mangel: Mangel an Technik, an Instrumenten, an Noten, an Wohlwollen seitens des Staates, der immer misstrauisch war. Warum hat es trotzdem Spaß gemacht?

Brüning: Weil man sich wie in der großen weiten Welt gefühlt hat, wenn man sich erstmal einen Song erschlossen hat. Das tat gut. Die Leute sind bald ausgerastet. Wir haben ein bisschen Westen in die DDR gebracht. Man durfte es eigentlich nicht und hat es trotzdem gemacht. Es gab die Regel, dass man 40 Prozent eines Bühnenprogramms Westlieder singen durfte und 60 Prozent Ost-Liedgut, weil die DDR für die Westlieder Devisen an die Gema in der Bundesrepublik zahlen musste. Das Geld dafür war natürlich knapp. Wir haben uns aber immer darüber hinweggesetzt. Dieser Widerstand war ein prickelndes Gefühl.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie Ihren Idolen jemals begegnet? Sie wurden als die Ella Fitzgerald des Ostens bezeichnet.

Brüning: Nein, leider nie. Im Westberliner ICC wurde ich mal Catarina Valente vorgestellt, ich habe ihr gesagt, dass sie mein Leben bestimmt und beeinflusst hat. Die war freundlich zu mir, gab mir ein Autogramm, das wars. Sie kannte mich nicht. Dabei gab es in der DDR eine Vielzahl unermüdlicher Musiker, die auf Topniveau gespielt haben. Die Zugehörigkeit zu diesen Musikern hat letztlich auch mich berühmt gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie ein politischer Mensch?

Brüning: Nein, nicht in dem Sinne, dass ich auf die Barrikaden gehe oder demonstriere. In meinem Beruf, eigentlich in jedem Beruf, ist man dem Gesellschaftssystem ausgeliefert, in dem man lebt. Das galt in der DDR und das gilt jetzt. Man macht sich Gedanken und wenn man sich irgendwo engagieren kann, dann macht man das - und sei es mit einer Unterschrift.

SPIEGEL ONLINE: Sie kannten Wolf Biermann gut, waren häufig bei ihm zuhause in der Ostberliner Chausseestraße.

Brüning mit Angelika Mann (m.) und Nina Hagen (r.), 2002: "Treue Seele"

Brüning: Ja, wir haben auch Urlaub bei ihm gemacht. Er hatte nördlich von Berlin ein Grundstück, in Karolinenhof, da ging die ganze DDR-Hautevolee ein und aus. Dort war ich eine Woche mit Nina Hagen, ihrer Mutter Eva-Maria Hagen und der Sängerin Angelika Mann, es war wunderbar. Nina war damals flügge und sollte einen Beruf erlernen. Ihre Mutter wollte, dass sie Teppichweberin wird, weil eine Freundin das machte. Damals haben wir uns schon angefreundet und die Freundschaft hält, auch wenn ich ihr heute nicht mehr so richtig gewachsen bin. Sie ist eine treue Seele. Dann kam die Ausbürgerung und Biermann war weg. Und wir alle entsetzt.

SPIEGEL ONLINE: Als er 1976 ausgebürgert wurde, unterschrieben Sie die Petition, mit der mehr als 100 Künstler bei der SED dagegen protestierten. Was passierte danach?

Brüning: Der Staat hat alle einzeln bearbeitet, die Unterschrift zurückzuziehen. Mich auch, ich habe sie schließlich auch zurückgezogen beziehungsweise mich davon distanziert. Hätte ich das nicht gemacht, wäre mein Leben und meine berufliche Existenz vernichtet gewesen, das haben die mir ganz unzweideutig zu verstehen gegeben. Und man konnte ja am Beispiel Manfred Krug sehen, dass die das ernst meinten. Wenn die das selbst bei ihm - der in der DDR ein Gigant war, den jeder kannte - durchzogen, dann bei mir erst recht.

SPIEGEL ONLINE: Sie hätten auch in den Westen gehen können.

Brüning: Natürlich haben wir das immer wieder überlegt, aber wir haben es nicht fertig gebracht. Man hatte sich in der DDR eingelebt, mochte sie sein, wie sie wollte. Es war unser Zuhause, hier lebte meine Mutter. Und wer weiß, ob wir im Westen beruflich wieder Fuß gefasst hätten. Deshalb haben wir die Unterschrift unter der Biermann-Petition zurückgezogen. Wahrscheinlich wird Biermann das erst jetzt erfahren. Aber er wird nicht gram sein, sein Schicksal war ohnehin besiegelt, er hätte nicht verlangt, dass wir uns ins Unglück stürzen - und letztlich hing sein Schicksal nicht von unseren Unterschriften ab.

SPIEGEL ONLINE: War das ein innerer Konflikt?

Brüning: Ja, schon. Ich fühlte mich erst mutig, als ich unterschrieb, ich hatte Gänsehaut, ich fror. Ich dachte, dieses Gefühl hält lange an. Dann, in die Enge getrieben, war das ein bisschen anders. Letztlich war Biermanns Ausbürgerung der Anfang vom Ende der DDR, ab da fing es an zu bröckeln.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie davon profitiert, dass Sie sich von der Unterschrift distanziert haben?

Brüning: Es ging einfach weiter. Man hat mir jetzt nicht einen dicken Veranstaltungsplan als Gegenleistung präsentiert. Ich wurde nicht mehr behelligt, mir passiert nichts, das wars.

SPIEGEL ONLINE: Aber die Westreisen wurden häufiger, Ihr Mann durfte sich sogar dauerhaft einer Big Band in der Schweiz anschließen und reiste mit ihr um die ganze Welt.

Brüning: Na ja, man wollte dazugehören. Da wo was los ist, will man dabei sein. Wenn man nicht dazugehört, macht einen das klein.

SPIEGEL ONLINE: Die Musikerszene ist oft sehr männlich dominiert. In den Bands, mit denen Sie auftraten, waren Sie als Sängerin immer die einzige Frau. Hat man Sie ernst genommen?

Brüning mit Manfred Krug: "Ich war Wachs in seinen Händen"

Brüning: Als Sängerin schon, als Frau weniger. Da wurden schon ziemliche Zoten gerissen. Einmal sangen wir das Lied "I Had A Dream Last Night". Die Männer haben sich den Spaß gemacht und "I Had A Riemen Last Night" zu dichten. Das gab ein schönes Gefeixe, aber mich haben solche Anzüglichkeiten verletzt, sie waren Zeichen von Nichtachtung. Bei meiner ersten Reise ins westliche Ausland - nach Dänemark - gingen die Musiker wie selbstverständlich nach dem Konzert aus. Natürlich ohne mich. Und bei einer sechswöchigen Tournee durch die Sowjetunion war ich nach den Konzerten kein einziges Mal mit den Musikern unterwegs. Aber als sie nachts ins Hotel zurückkamen, erzählten sie mir die dollsten Geschichten. Einmal waren sie mit Fans feiern - und einer der Russen holte in einer Blockhütte ein Tütchen weißes Pulver hervor. Die haben eine Koksparty gefeiert, mitten im Ural, in den sozialistischen Siebzigern!

SPIEGEL ONLINE: Sie waren auch mit Manfred Krug auf Tournee. War er auch so ein Macho?

Brüning: Anfangs wusste er nicht, wer ich war und was ich kann. Ich wurde ihm quasi vor die Nase gesetzt, als das Schleifchen von Manfred. Als dann bei unseren Duo-Auftritten das Publikum auch meinen Namen rief, war er nicht erfreut. Das war er nicht gewohnt, das hat ihm nicht gefallen. Er war verunsichert, er hat mich das spüren lassen, indem er mich hin und wieder aufzog. "Deine Stilistik haut nicht hin" und solche Sachen. Ich war noch jung, das funktionierte manchmal schon. Ich war Wachs in seinen Händen. Er war ja mein Idol. Später legte sich das und er war gelassener. Je länger wir aber zusammen sangen wurde es immer harmonischer und auch schon mal beglückend.

SPIEGEL ONLINE: Wie erlebten Sie die Wendezeit? Freuten Sie sich auf die Möglichkeiten, die sich boten?

Brüning: Nein, es war grausig. Die Wende war für mich eher Abbruch statt Aufbruch. Ganz sinnbildlich. Da kamen plötzlich Handwerker in unsere Wohnung, die wir nicht bestellt hatten und klopften unsere schönen Fliesen von der Wand, die wir von einer Reise in den Schwarzwald mitgebracht hatten. Alle Wohnungen wurden ja nach und nach renoviert. Dann diese ganze Bürokratie, höhere Mieten, Rechnungen, Steuern, neue Krankenkasse und der ganze Kram. Jeden Tag kam ein Brief, der mir nur Angst machte, allein, weil ich die Behördensprache nicht verstand. Und natürlich die Angst, jetzt im Westen den Anschluss zu verpassen, Marktgesetzen ausgeliefert zu sein, sich gegen Konkurrenz durchsetzen zu müssen. Die Leute sind ja dem Konsum hinterhergerannt und nicht etwa den Büchern.

SPIEGEL ONLINE: Hadern Sie noch heute damit?

Brüning: Nein, das hab ich vergessen. Man muss ja auch mal zu sich kommen. Zu Ostzeiten war ich verblendet. Da war der Westen das Paradies, ich hab zu meinem Mann gesagt, guck mal, drüben ist sogar das Gras grüner. Heute weiß ich, dass nicht der ganze Westen so riecht wie früher die Seife, die Verwandte mitgebracht haben.

SPIEGEL ONLINE: Im letzten Wahlkampf sind Sie für Angela Merkel aufgetreten.

Brüning: Das hat Pamela Biermann, die Frau von Wolf, arrangiert, sie ist mit ihr befreundet und per Du und hat ihr wohl einen Tipp gegeben. Frau Merkel kannte mich natürlich. Irgendwann rief sie vormittags bei mir an und fragte, ob ich singen würde. Ich hab natürlich nicht nein gesagt.

Beim Auftritt war sie total normal. Sie kam, ganz unprätentiös, setzte sich in die erste Reihe. Irgendwann hab ich ihr das Mikro vor die Nase gehalten - und sie hat mitgesungen, "Strange things happen every day". Ich mag die als Person, mit einigen ihrer Entscheidungen bin ich nicht einverstanden. Das kann ich aber trennen.


Quelle: spiegel.de vom 02.03.19


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